Das weltweit erste Projekt, eine Industriebrache in ein nachhaltiges Naturareal zum Ausgleich der individuellen Lebens-Ökobilanz umzugestalten, ist erfolgreich angelaufen. Derzeit führt die RAG Montan Immobilien die Rückbauarbeiten auf den nah beieinander liegenden Arealen der ehemaligen Schachtanlagen Polsum 1 und Polsum 2 in Marl im Rahmen des Abschlussbetriebsplanverfahrens (ABP) im Auftrag der RAG Aktiengesellschaft durch. Das ABP-Verfahren ist behördlich vorgegeben, um einen Bergbaustandort nach Ende des Betriebes wieder nutzbar zu machen. Parallel zum laufenden ABP-Verfahren setzt der Aachener Öko-Unternehmer Dr. Dirk Gratzel erste Renaturierungsmaßnahmen zur ökologischen Aufwertung des ehemaligen Zechenareals um. Weitere nachhaltige Maßnahmen zum Schutz der Natur, der Artenvielfalt und des Klimas sind auf den beiden insgesamt gut elf Hektar großen Flächen in der konkreten Planung.
Das „Greenzero“ genannte Projekt auf dem ehemaligen Bergbaustandort der RAG gestaltet sich für beide Partner als Win-Win-Situation. Die RAG möchte ihren großen Bestand an Immobilien und immobilienwirtschaftlich nicht nutzbaren Flächen reduzieren und dabei gleichzeitig etwas für die Umwelt tun. Dabei unterstützt man den Unternehmer und Umweltaktivisten Gratzel, der 2015 einen bemerkenswerten Entschluss gefasst hat: Er möchte seinen persönlichen öko-logischen Fußabdruck auf Null reduzieren und die Erde bei seinem Tod mit einer ausgeglichenen Lebens-Ökobilanz verlassen. Dazu hat er nun in Polsum industriell vorgenutzte Flächen erworben, die er nachhaltig ökologisch aufwerten wird.
Rückbau Polsum 1
Der Rückbaustart im Rahmen des ABP-Verfahrens erfolgte auf dem 9,8 Hektar großen Areal Polsum 1 im November vergangenen Jahres. Vorlaufend zum Rückbau werden alle Gebäude beräumt und falls erforderlich auch dort befindliche Schadstoffe entfernt. Der Beginn der Räum- und Dekontaminationsarbeiten und des anschließenden Rückbaus erfolgen erst nach Freigabe durch die ökologische Baubegleitung. Weiterhin werden sämtliche Bauaktivitäten fachgutachterlich im Hinblick auf mögliche Schadstoffe, Sanierungsmethoden und anfallendes Abbruchmaterial begleitet und begutachtet, um diese Materialien einer ordnungsgemäßen Verwertung zuzuführen.
Teile der aufgehenden Gebäude und Anlagenteile, wie z. B. die Wetterkühlanlage, das Fördermaschinenhaus und das Schalthaus sind inzwischen bereits zurückgebaut. Vor dem Rückbau sogenannter Trafotassen auf dem Gelände wird derzeit aus Artenschutzgründen ein Ersatzgewässer für Molche und Amphibien angelegt. Gleichzeitig wird dieses Ersatzgewässer in die ökologischen Planungen des Öko-Unternehmers Gratzel mit eingebunden. Kurzfristig wird nun mit der Verfüllung der Kellerräume begonnen. Soweit möglich wird bei dem Einsatz der Verfüllmaterialien den Anforderungen des Gestaltungskonzepts entsprochen.
Auch der Sprengstoffbunker auf dem Areal von Schacht 1 soll nach den Plänen Gratzels als Biotop weitergenutzt und deshalb nicht zurückgebaut werden. Dies erfolgt insbesondere auch vor dem Hintergrund der Übererdung des Sprengstoffbunkers und des dortigen Bewuchses. Ein Rückbau des Bunkers würde einen erheblichen Eingriff in die über Jahrzehnte entstandene Natur bedeuten. Die konkrete zukünftige Nutzung wird sich allerdings auch an den Beschränkungen durch das dortige Windrad orientieren.
Der Sprengstoffbunker muss zuvor im Rahmen des ABP-Verfahrens bearbeitet werden. Falls notwendig wird er noch nach Vorgaben des Schadstoffgutachters dekontaminiert. Anschließend werden zur Realisierung der ökologischen Nachfolgenutzung Gebäudeteile abgetrennt und dann verschiedene Substrate, das sind Mischungen von Böden, Steinen oder Mineralien, eingebracht. Die Seiteneingänge werden gegen unbefugtes Betreten verschlossen, ermöglichen aber noch einen Luftaustausch. Am jetzigen Eingang wird aus drei bis vier Rohren verschiedener Größen ein Tunnelsystem in den Bunker geführt, so dass kleinere Wildtiere den Bunker künftig als Unterkunft oder Versteck nutzen können. Die Tunneleingänge werden bis in das umgebende Gelände geführt. Der Zugangsbereich wird mittels Kernbohrungen perforiert. Diese Art Drainage verhindert Stauwasser und damit das Eindringen von Wasser ins Tunnelsystem. Der bisherige Zugangsbereich wird zum Abschluss geländehöhengleich verfüllt.
Der Bunker kann dann später, trotz der Nähe zum Windrad, von Groß- und Kleinsäugern wie Fuchs, Dachs, Siebenschläfer, Haselmaus, Marder und anderen als Rückzugs- und Deckungsraum genutzt werden. Auch für andere Tiergruppen, wie beispielsweise Amphibien, Reptilien und Insekten, kann der Bunker ein Ausweichhabitat sein.
Rückbau Polsum 2
Auf dem knapp 500 Meter entfernten und nur 1,5 Hektar großen Schachtareal Polsum 2 hat die RAG Montan Immobilien Anfang Februar 2021 mit dem Rückbau der Grubenlüfteranlage und der Schachthalle aus Stahlbeton begonnen. Für den Rückbau der ca. 26 Meter hohen Schachthalle und der Maschinenhalle wird ein 50 Tonnen schwerer Bagger eingesetzt. Aufgrund der Nähe einiger Wohnhäuser bzw. eines landwirtschaftlichen Betriebes wird der maschinelle Betonrückbau auf dem Standort während des gesamten Rückbauzeitraums schwingungstechnisch rund um die Uhr überwacht.
Grundsätzlich gilt für beide Schachtstandorte, dass sowohl die Platzierung der ökologisch gestalteten Landschaftsbereiche als auch der Ersatzhabitate für seltene und bedrohte Tierarten im Rahmen des ABP-Verfahrens abgestimmt erfolgen soll. Ziel ist es dabei, die Rückbauarbeiten und die dazugehörigen Bodenauffüllungen und Geländegestaltungen mit den Aufwertungsmaßnahmen auf dem Areal optimal zu verschneiden – etwa, um bewusst nährstoffarme Areale für selten gewordene Arten der regionalen Tier- und Pflanzenwelt zu schaffen.
Erster Baustein für die Öko-Bilanz
Einen ersten Baustein für den Ausgleich seiner individuellen Öko-Bilanz hat Dirk Gratzel schon auf einer unbebauten und zur Schachtanlage 1 gehörenden Grünfläche entlang der Buerer Straße angelegt. Dort hat er eine Streuobstwiese mit ca. 60 Bäumen realisiert - ausschließlich bepflanzt mit alten Sorten von Äpfeln, Birnen, Pflaumen, Quitten, Renekloden (eine Art Pflaume) und Mispeln regionaler bzw. lokaler Herkunft. Unter anderem wird das dort geerntete Obst in einigen Jahren für die Produktion von hochwertigen Fruchtsäften genutzt.
Planung der ökologischen Aufwertung
Nach Überprüfung eines Büros für Umweltplanung und Umweltberatung im Auftrag des Aachener Unternehmers weisen beide Bergwerksareale keinen naturschutzrechtlichen Schutzstatus auf. Beide Flächen sollen aber ökologisch aufgewertet werden und das angrenzende Landschaftsschutzgebiet und den umgebenden Wald sinnvoll ergänzen. Mit den geplanten Anpflanzungen und Biotopen will Gratzel den ökologischen Wert der ehemaligen Bergwerksflächen möglichst maximieren.
Dazu haben Landschaftsplaner und Ökologen im Auftrag Gratzels eine Renaturierungsplanung für die Polsum-Schächte erstellt. Aus dieser werden Aufwertungsziele und entsprechende Maßnahmen abgeleitet, die Grundlage für die künftigen Ausgleichsmaßnahmen seiner persönlichen Lebens-Ökobilanz sein werden.
Im Laufe seines Lebens wird Dr. Dirk Gratzel nach Berechnungen von Experten der TU Berlin 1.400 Tonnen Kohlendioxid (CO2), sechs Tonnen Schwefeldioxid (SO2) und zwei Tonnen Phosphat (PO4) oder Äquivalente dieser Stoffe in die Umwelt entlassen. Jeder Mensch trägt so - je nach seinen Umwelt belastenden Aktivitäten - zur Verstärkung des Treibhauseffektes bei und beeinflusst durch Versauerung und Überdüngung die Artenvielfalt in Böden und Gewässern. Seine persönlichen Umweltauswirkungen will Gratzel durch die Renaturierung der Polsumer Bergwerksflächen kompensieren. Die Renaturierung verfolgt dabei im Wesentlichen zwei Ziele: die CO2-Speicherung in Vegetation und Boden sowie die Wiederherstellung nährstoffarmer, offener Biotope für eine nachhaltige Entwicklung einer gesunden Flora und Fauna.
CO2 wird in erster Linie in Pflanzen und im Boden aufgenommen. Erfolgreich ist die Kohlenstoffspeicherung durch die natürliche Entwicklung von Wäldern und Böden, wie sie derzeit gezielt auf den Polsumer Flächen vorbereitet und umgesetzt wird. Nach Gratzels Planungen wird in den auf Bergematerial aufgeforsteten Laubholzbeständen auf der Fläche von Schacht 1 eine Entwicklung zu naturnahem Eichen-Birkenwald angestrebt. Dies wird unterstützt durch das Anpflanzen von Stieleichen, Buchen und Eschen über einen Zeitraum von etwa 20 Jahren.
Zusätzlich sollen auf dem Areal sogenannte Offenland-Biotope angelegt werden. Davon profitiert nicht nur die Pflanzenwelt, sondern auch Tierarten, die auf einen solchen Lebensraum angewiesen sind. So könnte das renaturierte Gelände seltenen Vogelarten, z.B. dem Baumpieper, als Lebensraum dienen. Sandige Bereiche mit Gehölzen und Vegetationsstrukturen eignen sich zudem für die Zauneidechse. Auch diverse Heuschrecken-, Laufkäfer- und Schmetterlingsarten (Tagfalter) profitieren von der Anlage derartiger Habitate. Auch im ehemaligen Sprengstoffbunker wird in anderer Form ein Ersatzhabitat für bestimmte Tierarten realisiert.
Auf Schacht 2 wird aufgrund der Einzäunung des Geländes vorwiegend auf die natürliche Wiederbewaldung gesetzt. Hierzu ist geplant, die Einzäunung noch mindestens fünf bis zehn Jahre zu belassen. Stellenweise sind allerdings zusätzliche Pflanzungen mit Buche, aber auch Stieleiche und Esche vorgesehen.
Die Renaturierung der Polsumschächte und der derzeit laufende Rückbau der bergbaulichen Anlagen durch die RAG Montan Immobilien werden bis Ende 2021 ökologisch begleitet. Hierdurch können sich noch Änderungen der Renaturierungsplanung hinsichtlich der räumlichen Abgrenzung von Biotopen sowie anderweitige ökologische Aufwertungschancen ergeben.
Nach dem Rückbau wird dann durch die von Gratzel beauftragten Wissenschaftler ein landschaftsökologisches Monitoring durchgeführt. Dies beinhaltet regelmäßige Untersuchungen von Boden, Flora, Vegetation und Fauna. Das Ergebnis der ökologischen Aufwertung auf der Fläche wird nach Abschluss der Rückbauarbeiten in verschiedenen Zukunftsszenarien abgeschätzt, um es mit Gratzels individueller Öko-Bilanz in Beziehung zu setzen. So wird der Zeitraum ermittelt, in der Gratzel voraussichtlich - so der Öko-Unternehmer wörtlich - zur weltweit ersten „grünen Null“ wird.
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